Angst & Schrecken auf Formentera - Leseprobe

Angst und Schrecken auf Formentera

Buch

Eine pikante Mischung aus Liebe, Sex, Drogen und Rock’n’Roll würzt diese spannende, halbauthentische „Aussteiger“-Geschichte um eine Gitarrenbauschule auf Formentera. Humorvoll bis bösartig werden allerlei Abgründe menschlichen und touristischen Treibens beleuchtet. Dabei entsteht durch die Schilderung der Orte des Geschehens en passant ein Insider-Reiseführer besonderer Güte

Der Autor

Dieter Gölsdorf, alias Atze Gölsdorf (vormals Atze Rockinger), geboren 20.6.1952 in Berlin (ca. 13 Uhr), wurde kurz darauf nach Hannover verzogen, studierte später ein wenig Kunst und Juristerei, spielt Gitarre, schrieb deutsche Songs, designt und verkauft weltweit immer noch Elektrogitarren und Gitarrenteile, gründete 1988 mit Partner Thomas Stratmann die Gitarrenbauschule Formentera Guitars,  singt heute wenn schon, dann den Blues, schrieb viel Fachliches über Gitarren und böse Briefe an unliebsame Fachinteressenten, war auch sonstigem verwerflichen nicht immer abhold, fröhnt heute eher gutem Wein, der Reliefkunst und weiterhin der Leidenschaft und lästerlichen Dingen.

ISBN 3-980-42102-7 - in jedem Buchhandel erhältlich!

TEIL I

SALIDA

Endlich! Der LKW war bereits vorgestern losgedonnert. Gute zehn Tonnen Inventar: Drei Paletten edelstes Hartholz, diverse mittelschwere Holzbearbeitungsmaschinen, Unmengen Werkzeug, kistenweise Kleinkram für etwa achtzig Elektrogitarren, Hausrat, Bauholz, PC, komplette Backline samt Schlagzeug und Gesangsanlage und jede Menge sonstiges Geraffel, was immer man auf dieser Insel brauchen könnte.

Jesus, würde das alles glatt gehen? Allerlei kompetente Menschen hatten mir auseinander-gesetzt, daß in Spanien alles ganz besonders schwierig  sei: EG, ha! Was? Balearen? „Bananenrepublik!“ Überhaupt, einige hatten uns schlichtweg für verrückt erklärt. Aber letztlich waren diese Leute doch nur neidisch. Eine Gitarrenbauschule in der Mittelmeersonne -  Is there better?

Wir hatten alles durchgerechnet. Ein oberamtlicher Trip sollte es sein für die Leute; vom Allerfeinsten, und alles inklusive: Flug, Unterkunft, der Kurs mit bis zu sieben Gleichgesinnten, und das Material für eine Elektrogitarre höchster Qualität, komplett mit selbstgewickelten Tonabnehmern, Hardware, allem Drum und Dran. Das alles unter fachkundiger Anleitung von zwei echten Gitarrencracks, die einem sagen, welches Loch warum wo zu bohren ist und wo besser nicht. Dreitausend Märker - zugegeben: nicht ganz billig, aber eine richtig gute Gitarre aus dem Laden kostet auch so um den Dreh.

Und tatsächlich hatten bereits über fünfzig Teilnehmer brav ihre Anzahlung auf die Kursgebühr erbracht. Sage und schreibe fast achtzigtausend Märker aus dem Nichts auf unserem „Formentera“-Konto! Dabei existierte zu diesem Zeitpunkt noch kein Quadratzentimeter der von mir frech angepriesenen, vollklimatisierten Werkstatt. Nicht mal die Lokalität darselbst! Blaue Luft, ein totales Irrgebilde!

Die Idee für diesen Wahnsinn hatten Thomas und ich an einem kühlen, verregneten Septemberwochenende, just in der Zeit, als ich dabei war, meine eigene Elektrogitarrenproduktion mangels hinreichender Profite zu veräußern.  Es hatte sich als fast unmöglich herausgestellt, Interessenten zu finden, die einem nicht nur all die Maschinen und all das Holz abkauften, sondern dazu auch wenigstens etwas Entgelt für unsere ausgefuchsten Spezialvorrichtungen hinlegen würden; materielle und ideelle Verluste in ungeahnter Höhe.

Die Initialzündung  war dann ein saublöder Bericht im Fernsehen über einen sündteuren Surfbrettbaukurs in Key West, Florida gewesen. Da machen WIR doch lieber was Richtiges und Wichtiges. Logisch, Kurse für Gitarrenbau! Wie? Wo? Warum? Ein kurzes, euphorisches Brainstorming. Binnen weniger Stunden hatten wir unser Projekt geistig beisammen.  Material und  Maschinen standen ja sowieso fast komplett zur Verfügung. All dies und etwas mehr auf unsere Lieblingsinsel gekarrt, lots of sunshine, lots of fun!

Thomas,  ein Mann vom Fach, war damals mein Produktionsleiter gewesen, hatte  geerbt und als seinen Part zur Gleichberechtigung mal eben vierzigtausend Märker auf den Tisch gelegt. So waren wir wirklich bestens gerüstet. Schon kurz darauf wurde die  gesamte Fachpresse informiert und das Ganze werblich gut vorbereitet.  „Formentera Guitars - Das Beste, was man sich gönnen kann!“

Meinen hannoverschen Gitarrengroßhandel mußten über den Sommer Paul und Connie managen, zwei halbwegs professionelle Kaufleute, langgediente Mitarbeiter, denen man das wohl zutrauen konnte. Dabei war es gerade Connie gewesen, die mich vor einigen Jahren erstmals nach Formentera geschleift hatte; sofortige Euphorie meinerseits, ein Paradies, ganz nah! Seitdem war ich mindestens dreimal pro Jahr wie süchtig dort eingefallen, sei es für den Sommerurlaub oder mal kurz über ein verlängertes Wochenende. Und nun sollte das Ganze zu einer Art Dauerzustand werden, Leben und Arbeiten auf der schärfsten Insel der westlichen Hemisphäre...

Ein warmer Mai-Samstag, unsere beiden gelben Limousinen waren bepackt, Thomas und ich im R4, außerdem mit von der Partie: Rüdiger Gutmann, auch Rudi, Rude, Herr Gutmann, Ihre Gutschaft, Mr. Goodman oder einfach Goody genannt, ein Mann des guten Glückes, jeansmäßig aufgemacht (der solide Blaumann mit einigen bunten Flicken auf Hose und Jacke), praktisch veranlagt, Schlag bei den Frauen. Als einen guten Anmacher mit klar begrenztem Tiefgang hatte ihn mal eine gute Freundin von mir charakterisiert. Aber Rudi war in Ordnung, ein Kerl mit Herz, den man einfach liebhaben mußte.

Dieser  Sympath sollte nun gegen Kost, Wein und Logis den Sommer mit uns verbringen und sich dabei quasi als Gegenleistung etwas um die äußeren Belange kümmern; Kursteilnehmern die guten Plätze der Insel zeigen, die Leute in der Siesta zum Strand geleiten etc. Rudi hatte als kleinen Beitrag seinen gelblichen Passat Kombi eingebracht, so daß wir auch limousinenmäßig gut gerüstet schienen.

Zuletzt hatte „Ihre Gutschaft“ fast zwei Jahre als Gitarrenroadie gearbeitet, immerhin  für höherklassige Acts wie Grönemeyer, Maffay etc., und da den Gitarristen ihre Instrumente und sonstige Maschinerie auf Trab gehalten. Kein anspruchsloser Job, eine Betätigung, die eher einen straighten Arbeiter als einen Lebenskünstler verlangte. Letztlich war das Ganze dann daran gescheitert, daß Rude nach den Auftritten noch kräftig um die Häuser gezogen war, mit anschließendem Verbleib bei jungen oder älteren Mädels, so daß er am folgenden Tage nicht rechtzeitig oder nur stark eingeschränkt wieder am Start  war, wie er sich ausdrückte.

Mit Rudi im Passat war Mone, ein etwas esoterisches, zartes Geschöpf, das tolle Fußmassagen drauf hatte und mitfuhr, um - solange das Geld reichte - Balearenluft zu schnuppern. Mone hatte früher öfters als Aushilfe bei uns gearbeitet und zuletzt in einer Art Nullkurs für uns Versuchskaninchen gespielt. Wir hatten nämlich - um zu testen, ob solch ein Kurs überhaupt  durchführbar ist - daheim in meiner Werkstatt mit wirklich ein-fachsten Mitteln zwei Gitarren gebaut. Und Mone mußte dabei jeweils die Arbeitsschritte ausführen, die wir dann auch unseren Kursteilnehmern zumuten wollten. Das hatte bestens geklappt (wenn auch Frauen das können…)

Abfahrt jetzt! Drei Kreuze! Bitte endlich die Autobahn! Letzte Hirnzermarterung. Egal, was  immer wir vergessen haben - unsere Schüler können das für uns einfliegen. Hauptsache Paß, Euroschecks, Kreditkarten und etwas Bares mit bei! Überhaupt! Scheiß drauf, Hauptsache endlich abfahren jetzt, weg mit Nieselregen und Routine! Kurz die nächste Tankstelle angelaufen, Sprit, einige Schnabulate, Flaschen und Dosen, ein Zubringer-Schnellweg, ein blaues, zugespitztes  Schild, ab auf die A7!

Rudi und Mone fuhren hinter uns, immer in Kolonne. Was mochte das noch werden mit diesen beiden? Verwicklungen? Immer ein unwägbares Gefühl mit so ‘ner Frau dabei. Argwohn, wie könnte sie draufkommen, urplötzlich? Überzogene Ansprüche in Sachen Nachtkomfort? Unkalkulierbare Emotionalitäten! Obwohl, immerhin, Mone, ein attraktives Kaliber, charmant, dabei dennoch etwas reservierte Appearance, aber auf jeden Fall voll alright, und viel zu kompliziert für Rudi. Wird schon gut gehen! Thomas schlug mir zum vierten Mal volles Brett auf die Schulter. „Atze, wir fahren. Es geht ab! Wuoaah!“ Erhebend, dieses sanft aufkommende Gefühl von Leichtigkeit nach all dem grauenhaften Stress der letzten Wochen. Was sollte nun schon noch passieren?

Daß erstmal hinter Frankfurt der dritte Auspufftopf von Rudis Gelbblech abfiel, ließ sich noch ganz locker als Lappalie wegstecken. Der Sound blieb erträglich. Da nervte schon eher die stets klappernde hintere Stoßstange, die Rude nach irgendeinem Auffahrunfall mit zwei dünnen Flacheisen notdürftig wieder angebracht hatte. „Sonst liegt er eigentlich technisch voll vorn, von feinster Hand!“ bekräftigte Mr. Goodman.  „Und der Rost, das ist in Spanien kein Problem. Da kannst du die Kisten fahren, bis sie dir unterm Arsch zusammen-brechen! Ehrlich, der Passat, das ist der absolut amtliche Vortrag!“

Mal sehen! Um die zweitausend Kilometer lagen vor uns, ätzend lange Kilometer. Unerträglich, diese träge Materiebewegung. Das einzig Gute am Autofahren ist, daß man sich Gedanken machen kann, kreatives Potential wecken, das Diktiergerät als Notizbuch.

Zuhause sollte eigentlich alles im Lot bleiben, mein Großhandel mit Knöpfen, Schrauben, Saiten und einigen importierten Gitarren lief bestens. Und solange die betriebswirtschaftliche Auswertung jeden Monat ein Plus ergab, würde ich auch meine Euroschecks getrost einlösen können. Zumindest kein schlechtes Gewissen, und - sollte es mal bergab gehen - Flug zurück und eingreifen!

Jesus, Abenddämmerung, gleich sind wir in Fronkreisch, vorher noch eben vollge-tankt, die Franzmänner sollten uns nicht zuviel Kohle für den Sprit abgreifen, kassieren sie doch sowieso schon diese unhaltbare Autobahngebühr, verdammte Raubritterei mitten im zivilisierten Europa!

Wir fuhren durch die Nacht, die Autofähre von Denia am Montag müßte gut zu schaffen sein, kein Streß, genug hinter uns gebracht, um gegen Mitternacht bei einer Altea-Station kurz vor Lyon einzuchecken und ein paar Stunden wohlverdienten Schlaf zu nehmen.

Allmächtiger, mitten in Fronkreisch ein total amerikanisches Motel! Auto vor der Zimmertür, Whiskey, Gin und Coladosen in der braunen Holzdekor-Kühlbox. Thomas baute einen fetten Joint, mit dem wir uns genüßlich auf den Nachtschlaf eingroovten.

Elf Uhr vormittags, Scheiße, total verschlafen. Wie konnte das passieren auf einer solchen Fahrt? Tranquilo, schließlich wollen wir nach Spanien! Ich mußte das Duschbad haben und den korrekten französischen Frühstückskaffee!

Oh spanische Grenze, würde es so sein wie im Asterixheft? Sonnenglut auf den Pyrenäen, erste Verheißung eines besseren Lebens? Das Wetter spielte nicht mit, die Route du Soleil gab keinerlei Blick auf die Riviera aus, das Mittelmeer hielt sich heimtückisch hinter einer Hügelkette verborgen. Und schon wieder eine Maut-Station, jede Menge Francs, s’il vous plaît!

Ich fummelte in unserer Devisenkasse, hinter uns hörten wir Rudi schreien. Was war da los? Der Passat: Lightshow auf den Armaturen, Zündung abgestellt, der Anlasser rotierte, der Wagen ließ sich selber wieder an. Drogenwahnwitz oder beinharte Realität?

Schnell die Francs geworfen, an die Seite, Haube auf! Heilige Scheiße, was qualmte da? Wieso diese kleine gelbe Flamme hinter dem Motorblock? Ohnmacht, Wasser her! Zange, Skalpell, die Batterie muß ab! Große Hektik, Herzinfarktnähe! „Rudi, was hast du uns da aufgedrückt?“ „Mensch, ich weiß nicht, ich bin mit der Kiste anderthalb Jahre ohne Stress gefahren, echt, keine Fragen. Ich weiß  nicht, warum der jetzt nicht grade geht!“ jammerte Herr Gutmann. „Scheiße, wenn das so weitergeht, kommen wir man eben noch über die Pyrenäen. Der R4, das is ‘n Auto! Da hätten wir zwei von nehmen sollen!“ echauffierte ich mich nun.

Der gelbe Renault war ohne jede Beanstandung gelaufen, ein wunderbares Fahrzeug, einer der letzten stilvollen Kleinwagen europäischen Automobildesigns wie Ente, Käfer oder Fiat 500. Und daneben diese deutsche Krönung anonymer Hässlichkeit. Konnte man von sowas nicht wenigstens perfektes Funktionieren erwarten?  Was war mit der Elektrik? Der Ingenieur prüfte:  Das Hauptstromkabel hatte sich trotz verstärkter Gummi-Ummantelung auf einer Rohrleitung durchgescheuert und versorgte nun quasi von hinten jegliche Funktionen des Passats mit Saft. Totaler Zusammenbruch der lächerlichen elektrischen Logik dieses Wolfsburger Fabrikats. „Leute, der Passat Kombi ist DAS amtliche Auto!“  beteuerte Ihre Gutschaft weiter, um dann in hannöverschem Dialekt die Sache weiter zu bagatellisieren: „In maanen Ougen isses sogar ‘n Spochtwagen.“ „In maanen Ougen ist das kaan Spochtwagen!“ widersprach ich wie auf Stichwort im selbigen Slang, obwohl mittlerweile ein guter Teil meiner Harmoniereserven ramponiert war.

Igual, also, Espania, jetzt bitte! „Porco Dio, haben wir eigentlich die grünen Versicherungskarten?“ fiel Rudi ein. Wollte er mich jetzt extra quälen? Ich konnte mich nicht erinnern, je nach solchem gefragt worden zu sein. Gute fünfzig Kilometer trennten uns noch vom Anfang der Verheißung. Würden sie jene ätzende Frage nach der Carta Verde stellen oder gar unsere Autos durchforsten? Würden sie die Reifen abmontieren, das Unterste zuoberst, obwohl wir doch nur ein paar Fräser, Bandsägeblätter und sonstige Kleinwerkzeuge  zu schmuggeln versuchten, die wegen der Schludrigkeit unserer Lieferanten gerade mal nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen waren?

Nur keine Panik. Wir erreichten die Grenze bei sengender Mittagshitze und wurden einfach durchgewinkt. Hasta la vista! Welcher Zöllner verläßt schon bei dieser Sonnenglut sein schattiges Zollhäuschen? Und wer schmuggelt schon Drogen von hier nach Spanien? Weiter nervte die Autobahngebühr, nun in Pesetas, por favor! Ok, passabler Straßenzustand, aber was bitte trug sich da vorn  schon wieder zu? Stau, verdammt noch mal! Gegen harte Devisen durfte man sich hier im Schrittempo in Richtung Barcelona quälen. Rudis Temperaturanzeiger geriet in bedrohliche Höhen.

PACO-TRANS


Wo mochte Wolfgang jetzt sein? Dieser Mann von „Paco-Trans“, jener waghalsigen Bielefelder Spedition, die es nicht von sich gewiesen hatte, zehn Tonnen wahnwitzigen Mischmasch nach Formentera, Baleares, Espania zu karren. Sollte ich nicht doch besser bei ihm sein? Was mochte er denken nach dieser Chaosnacht des Einladens? Der Trucker-Man, der uns von der Ladefläche aus unbeteiligt zugeschaut hatte, wie wir uns grauenhaft ungeschickt mit unserem Mietgabelstapler verfransten.

Immerhin war ein Großteil des Inventars schön kompakt auf Paletten gepackt. Aber am Anfang hatten wir fast zwanzig Minuten gebraucht, um eine einzige Palette in den LKW zu hieven. Denn Gabelstapler fahren ist nicht so einfach, wie es aussieht. Bei dem verdammten Ding lenkt man die Hinterräder, alles geht völlig anders ab als erwartet. Schnell hat man sich in Ecken laviert, aus denen man nicht wieder herauskommt.

Zum Glück war dann endlich Herr Gutmann gleißenden Gebisses von seinem endletzten Zahnarzttermin zurückerschienen, um per sofort auf diesem Gefährt mit unglaublicher Eleganz über unseren Firmenhof zu schweben. Trotzdem hatte diese ganze Aktion bis zwei Uhr nachts gedauert, letztlich: Rein damit und Plane zu! Und parallel dazu der Papierkrieg, die unerlässlichen Transportpapers, zig Seiten lange Auflistungen von Frachtgut, auf deutsch und auf spanisch.

Also, wo mochte er  stecken mit unserem Zeugs, der Wolfgang? Bielefelder Frohnatur, seit zehn Jahren auf der Piste, Espania especial! „Spanisch? Kann ich nich! Wieso, wenn’s Problemas gibt, ruf ich einfach zu Hause an.“ Konnte er gar schon in Denia sein oder womöglich bereits auf dem Schiff?

Der Stau löste sich auf unerklärliche Weise wieder auf, Barcelona rückte näher. Diese Paco-Trans-/Wolfgang-Gedanken beunruhigten mich. Jeder unnütze Speditionstag kostete uns immerhin lockere sechshundert Mark extra. Vielleicht wäre es doch besser, wenn ich direkt jetzt nach Ibiza jettete, um auf alle Fälle sofort am Morgen zur Stelle zu sein. So ein Flug von Barcelona nach Ibiza kostete knappe hundert Mark. Das hatte ich vorher schon mal ausbaldowert. Thomas gab mir recht. Die Autos  könnten eh erst am nächsten Abend aufs Schiff. Also, folgen wir den Flughafen-Schildern!  Sicher geht heute noch ein Flieger!

Ganz Barcelona kam just aus dem Wochenende zurück. Wir kämpften uns durch das Verkehrschaos zum Aeropuerto, dem an jenem Abend schrecklichsten Platz des Planeten. Kaum zu ertragen: unglaubliche Menschenmassen, ein Grundpegel von 90 Dezibel, andauernd schrill kreischende Ansagen aus einer Vorkriegs-Lautsprecheranlage, quäkend und absolut unverständlich. Die Schlangen vor den Eincheckschaltern rieben sich mit den gegenüberliegenden Schlangen an den Ticketschaltern, kaum möglich, sich einen Weg durch dieses Gewimmel zu bahnen.

„Leute, ich komme schon klar, fahrt ihr mal ab nach Denia! Wir sehen uns Dienstag auf Ibiza.“ Pfui Deibel, zwei Stunden in dieser Hölle, selbst mein Dauerausblick auf zwei sehr wohlgeformte französische Frauenhintern vor mir machte die Situation kaum erträglicher. Mit zittrigen Knien stand ich endlich vor dem Schalter. „Der nächste Flug nach Ibiza?“ „Der geht morgen um dreizehn Uhr vierzig.“

Ja, aber nein! Sowas zieht einem doch den Boden unter den Füßen weg! Es war mittlerweile zwei Uhr nachts. Ich brauchte ein Hotel, unbedingt. Die Ratte von Taxifahrer fuhr mich bis nach Barcelona City, weil es in Flughafennähe angeblich keine Hotels gäbe. Wir rasten durch finsterste Gassen, Redlight, Strichscene, dubioseste Lokalitäten, Angstgefühle, Schweißausbrüche.

„Quiero un hostal, veramente!“ beschwerte ich mich, so gut es ging. Kein Bock, hier morgen früh in der Gosse ausgeraubt, mit einem Messer im Rücken aufgefunden zu werden. Die Kutscherratte hatte ein Einsehen und brachte mich zu einem Hostal in moderaterer Umgebung. Ich plünderte die Minibar und dämmerte weg.

Der neue Tag war anders. Schon das Morgenlicht, das hier ins Zimmer fiel, diese Art von himmelblau, die es bei uns so nicht gibt! Das Taxi zum Flughafen kostete nur gut die Hälfte des gestrigen Preises. Auch der Aeropuerto war wie ausgewechselt, ruhig, sauber, relaxed, kaum noch vorstellbar, dieses gestrige Total-Chaos. Also eingecheckt und  Abflug!

Auf Ibiza ist alles noch mal ganz anders: schon allein dieses Gefühl, wenn man aus dem Flugzeug hinaustritt,  in der warmen Luft diese Schiebetreppe hinunterzulaufen und ein Stückchen übers Rollfeld. Und überhaupt dieses balearische Ambiente: Windräder, sonnenbeschienene Hügelketten, ein Hauch von Zeitlosigkeit, durchatmen, die Glieder wohlig strecken. Ich spürte eine neue Art von Kraft.

IBISSA


Hinein in das  Taxi zum Puerto, zum Hafen!  Die Fahrt kostete mal wieder hundert Peseten mehr als letztes Jahr. Wo soll das noch hinführen? Wie weit war es mit der spanischen Welt gekommen? Donde esta el Wolfgango, el Alleman? Wo steckte die kleine Mistsau, mitsamt seinem kompakten, grünen, deutschen MAN-LKW? Der Taxifahrer  erzählte mir, das Denia-Schiff käme in San Antonio an. Eine Zollstation gäbe es aber nur hier in Ibiza.

Ich war schon drauf und dran, mir ein Auto zu mieten um nach San Antonio zu fahren, als mir die bessere Idee kam: Do it like Wolfgang! In Bielefeld anrufen und fragen, was los ist. Jawoll! Beste Telefonverbindung, alles im Lot, Wolfgang stände im Fischereihafen von Ibiza und wartete auf uns. Puerto de Pescadores, zweihundert Meter zu Fuß.

Ha, jawohl, da isser! Ein geiles Gefühl, hier vor dem LKW zu stehen, den man zweitausendfünfhundert Kilometer entfernt in einer anderen Welt beladen hatte. Nur noch die letzte Fähre trennt uns von Formentera und dem Anbeginn des schärfsten Unternehmens überhaupt. Zettel an der Windschutzscheibe „Atze, ich bin zum Zoll“. Der Zettel war alt, und auf mein  Klopfen erschien Wolfgangs breites, verschlafenes Gesicht hinter der Scheibe.

„Nee, in Sachen Zoll, da läuft heute nichts mehr“,  murrte er. Irre, wie manchmal groß angelegte Aktionen mit einem einzigen läppischen Satz im absoluten Nichts enden! Den Flug hätte ich uns sparen können, aber igual. Jetzt ich und Wolfgang, zwei Deutsche in der Fremde! Wir kippten über den Nachmittag diverseste Biere, Kaffees und Carrachillos. „Wenn alles schief läuft, dann sind wir hier noch Tage. Beim Zoll, die arbeiten nur von morgens bis mittags, dann ist Schicht. Und wenn die alles durchforsten, da sitzen wir nächste Woche noch hier.“ gab der Trucker zu bedenken. So ein kompletter Unsinn! Verdammter Deprimo! Ich war voll balearischer Frische und prophezeite  siegessicher: „Weißte, wir stehen unter einem guten Stern, und die Sache wird mit nikkes Problemas über die Bühne gehen!“

Abends gingen wir ins La Marina. Das ist eine gute, echt spanische Gastwirtschaft am Hafen, wo ich mir auch gleich ein Zimmer für die Nacht nahm. Essen bueno, wohlgespiesen, ein netter Abend. Wolfgang, dieser Trucker-Man, arbeitsam, fernab jeder Droge - außer Gin Tonica. Clean und straight, seit zehn Jahren auf dem LKW, ‘ne andere Sorte Mäuse, aber akzeptabel, nicht unbedingt einer von den Typen, die nur an das kleine Haus am Stadtrand denken, mit Carport, Gerätehäuschen und Gastank im Garten, und in dreißig Jahren ist alles abbezahlt.... Nee, wir kamen ganz nett ins Gespräch.

Für Segelboote interessierte er sich. Und dieses Aids machte ihm zu schaffen, Vorsicht bei Amoren, sowas gab’s bei ihm auch. Nach zwei Bieren konnte ich ihn dazu bewegen, eine Flasche Rioja mit mir zu teilen. Aber er guckte etwas unglücklich nach dem ersten Schluck: „Irgendwie schmeckt’s doch so’n bißchen pelzig auf der Zunge.“ Oh deutsche Seele! Und natürlich zu allem und jedem Ketchup bestellen und das Rinderfilet total durchgebraten, verbrannt, zerstört, das gute Fleisch!

Aber immerhin, zum Glück hatte er erfaßt, daß er mit mir besser nicht so Themen wie  „Bräute durchficken“  oder  ähnliches besprechen sollte. Letztlich landeten wir natürlich beim Fußball. Wolfgangs Herz schlug für den FC Barcelona. „Der FC“, sagte er bedeutsam, „...wenn du verstehst - das ist echt geiler Fußball!“

Ich konnte nicht allzuviel dazu beitragen, obwohl ich schon mal wichtige Endausscheidungsspiele gucke, zumindest zusammen mit Leuten, schon wegen des interessanten Gruppenerlebnisses. Zum Glück hatte ich noch ein paar Details der letzten Europameisterschaft zur Hand.  Die gab ich zum besten und nippte an meiner Margarita, zu der Wolfgang mich in der Zwischenzeit überredet hatte.

Ich schweifte bald wieder ab zu unserem Projekt. Wo mochten die tapferen Freunde jetzt sein? Die mußten heute Nacht ankommen, irgendwo auf dieser Insel, keine Frage, wahrscheinlich in San Antonio. Oder sind sie schon lange da und suchen uns womöglich? Wolfgang fing wieder mit diesen Zollstress-Geschichten an, insbesondere wegen des Zeugs, was da so einfach zuletzt ungelistet noch oben drauf geschmissen wurde.

„Gut ist das nicht, wenn die was finden, was nicht in den Papieren bezeichnet ist.“ „Dann laß uns doch einfach das Gröbste heute nacht noch ausladen und in die PKWs packen!“ schlug ich vor. „Wir kommen doch dran, ist doch alles offen bei deiner Karre.“ „Au, das müßt ihr aber machen! Der gilt zollrechtlich als verplombt. Da hab ich nichts gesehen!“ grummelte Wolfgang.

„Laß uns  ‘n kleinen Gang machen!“ trieb ich ihn. „Gelbe PKWs mit H wie Hannover sind angesagt.“ Wir spazierten durchs Hafenviertel. Alles ganz nett anzusehen. Einmal dachten wir sogar, wir hätten sie, aber dann war es doch nichts, nur gelbes aus Bremen, nada, Error.

Scheiße, irgendwie war ich doch ein Stückchen auf den Horror gekommen. Warum mußte das so kompliziert sein, eine Gitarrenbauschule nach Formentera zu karren? Dabei wäre unsere gesamte Schule eigentlich schon in Irun verzollbar gewesen. Irun ist jene Station nach der Grenze, wo Wolfgang den Anhänger mit anderem Transportgut ausgeladen und stehengelassen hatte, erster Bestimmungsort im Mañana-Land. Das wäre insbesondere wegen der guten Kontakte zum dortigen Zoll bestens gewesen, ging aber angeblich wieder nicht, weil keiner von uns zugegen war. Hundertprozentiger Quatsch! Und wieso hatten die uns das nicht vorher gesagt? Liebend gern wären wir zur Stelle gewesen.

Und jetzt: Hier auf Ibiza steht ein vollbeladener LKW, der als verplombt gilt, weil noch nicht verzollt, wo man aber jederzeit an die Ladung ran kann! Und wir bangen um Tagessätze. Das ist doch Ochsenscheiße, totaler Humbug! Aber solche Extremsituationen führen dazu, daß man sich mit jedwedem Irrwitz abfindet! Wir schauten noch mal auf die Ankunftstafeln der verschiedenen Anlegeplätze und fragten allerlei Leute nach dem Schiff aus Denia.

In Spanien bekommt man auch auf präzise gestellte Fragen von verschiedenen Leuten die verschiedensten Antworten. Unfaßbar, und dennoch passiert das immer und immer wieder! Einer meinte, das sei schon angekommen, einer behauptete, gestern und heute käme gar nichts, andere wußten genau, daß es nicht vor fünf Uhr morgens in San Antonio ankommen würde.

Keine gelben PKWs; Gehen wir halt mal rauf in die Altstadt, Kneipen gucken. Soll ja so romantisch und verspielt sein, die Altstadt von Ibissa. Mit scharfem S! wie es der eingefleischte Ibiza-Urlauber sprachkundig formuliert, wobei dies aber bei den meisten Ibiza-Reisenden eins der ganz wenigen spanischen Wörter bleibt. Und tatsächlich, schon in der ersten Kneipe kam es knallhart kölsch: „Hallo, Männer. Wat kann isch eusch bringen?“

Satan! Die Drinks kosteten mehr als das Doppelte der ohnehin schon nicht mehr moderaten Formentera-Preise, Schwarzlicht, Schicki Micki, und dann diese Zapfer-Penetranz. „Sprich mit mir und sauf dabei! Umsatz, Umsatz, laß dein Geld hier, und nicht woanders!“ Und die Gäste,  genau die Leute, die ich so liebe. Diese Typen mit Oberlippenbart und Miniplifrisur, Sweat-Shirts mit Hugo Boss-Aufdruck und unten rum die Trainingshose! Auch abends! Allen bammelten diese wasserfesten Plastikbargeldröhren um den Hals, den Jungens wie auch den friseusenartigen Mädels, die dazu die eng anliegenden, glänzenden Gymnastikhosen, Stöckelschuhe und Fransenkram trugen. „Um eins jehen wir noch ins Pascha!“, deutsche Sprache in laut. Jesus, wo waren wir gelandet? Ringelpietz mit Anfassen.

Schnell die Alt-Biere gestürzt, Flucht! Wieder unten angelangt wurde uns plötzlich die Spätheit der Stunde gewahr, und, daß wir doch schon ganz schön geschafft waren. Wolfgang verkroch sich in die Schlafkoje seines LKWs, ich hatte dieses Zimmer im La Marina, mit Blick auf den Hafen und das Meer.

Ich hockte noch eine gute halbe Stunde am Fenster und schaute über die unzähligen Masten der Boote in den Horizont. Würden wir tatsäch-lich morgen in jenen kleinen weißen Hafen einlaufen, war das überhaupt alles wahr? Euphorie.....

GISA


Jetzt müßte Gisa hier sein! Wir beide, jetzt, hier in dieser kleinen Pension! Jetzt die Vereinigung von Geist und Körper. Die geistige Vereinigung war noch gar nicht solange her, es war justement Ostern, als ich für eine gute Woche auf Formentera war, um unser Werkstattlokal, unser Pesetenkonto und allerlei behördliche Sachen klar zu machen. Ach Gisa! Diese Dame mit ihren tiefen, braunen Augen, direkt ein bißchen was von Jacqueline Onassis. Und ich war in dieser Phase, in der insbesondere braune Augen so einiges bei mir bewirken konnten.

Ich glaube, als es uns zusammenführte, waren wir beide schon halbwegs betrunken. Aber Damen von Format sind ja gerade in diesem Zustand besonders liebenswert. Dabei war eigentlich gar nicht sie die treibende Kraft, unser Verhältnis in Gang zu bringen, sondern ihre leicht durchgeknallte, rotblond-kraushaarige Freundin. Sie kamen aus dem Fonda-Restaurant, und gingen spontan auf mich los. „Wir würden uns gern mit dir unterhalten, wir finden dich so süß!“

Ohwehohweh. Was wollten die von mir? Hatten sie mich von ihrem Tisch aus ausgeguckt, vorgemerkt? Wollten sie mich nur verarschen oder würden sie noch ausknobeln, wer mich heimführen könnte? Lover-Suche? Ego-Pflege, Abfuck, whatever? Ich muß dann doch irgendetwas verstiegen Häßliches gesagt haben. Die Freundin kam urplötzlich ganz merkwürdig drauf, richtig ätzend, aggressive Schmähungen, Verletzungspotential. Flucht nach vorn, die letzte Rettung, rote Karte: „Kraushaar, bitte geh jetzt!“ Dabei hatte ich entsprechend angewidert die Miene verzogen. Jawoll, sie ging. So einfach ist das manchmal, vier schlichte Worte, nicht zu fassen!

„Aber du mußt bleiben!“ schob ich sofort der bezaubernden Jacqueline zu, und setzte  aufatmend neu zum Gespräch an. „Ihr seid mir ja so zwei Hühner!“ „Weißt du, daß du dich in akuter Lebensgefahr befindest?!“ „Hm? Ach so, Entschuldigung, tut mir unheimlich leid, du! Zumindest ein Stück weit“, setzte ich in softem Alternativ-Slang nach, den ich ganz gut parodieren kann. „Ich hoffe, es hat nichts ganz Schlimmes mit dir gemacht“, kam gekonnt zurück. Dann fiel mir auf, daß sie gerade nur achtzig Peseten für ihren Magno bezahlte. „Was ist das, hast du hier ’n Spezial-Deal?“ „Ja, weil ich hier mal richtig Schwung reinbringe“, lachte sie. Gisa, diese Frau aus Köln kam jedenfalls schon seit zwanzig Jahren auf dieses Eiland, und sowas verbindet natürlich auch mit  der Thekenmannschaft.

„Und was führt dich hierher, du?“ stichelte sie zurück. Ich versuchte, mit kurze Worten unser Gitarrenschulprojekt zu umreißen. Argwohn, Pflegefall, Formentera-Abdrift, sie schaute verwundert? So mußte ich doch etwas weiter ausholen und fing plötzlich an, tierisch einen zu erzählen, was meine Bedeutung in der internationalen Gitarrenwelt anginge: Präsident eines gestandenen Konzerns, Millionenumsätze, ständige Auslandsreisen, eigene Erfindungen, blabla usw. Das Mitleid wich nun doch unsicherer Ungläubigkeit. Konnte das alles stimmen, was der Freak mit dem Pferdeschwanz da von sich gab? Kurz bevor ich beinahe alles maßlos überzogen hatte, schob ich ein „Und du?“ ein.

Sie sei mit ihrer Tochter hier, erzählte Gisa, und zeigte zur Tür raus auf das Hostal Pepe. „Sie ist vierzehn, liegt schon im Bett.“ „Und was machst du ansonsten?“ fragte ich. Sie erzählte von ihrer Ein-Frau-Marketing-Firma, und daß sie italienische Weine und andere italienische Leckereien begutachtete und  an Supermarktketten vermittelte.

War es nur unser reger Gedankenaustausch oder taten jene diversen Alkoholika ihre Wirkung? Plötzlich, eigentlich ohne spezielle Vorwarnung rückte uns unser reger Augenkontakt zusammen und wir lagen uns in den Armen, spontane Übereinkunft in der Situation.

Manchmal sind die Vibrations eben so stark, daß es kommt, wie es kommen muß. Einige zärtliche Berührungen unserer Lippen, direkt folgend eine Art von Bestürzung über unser plötzliches Glück! Oder Ernüchterung? Warum mußte sie sich so plötzlich und hinterhältig entziehen? Sie müsse gehen, sagte Gisa, ihre Tochter könne sonst nicht schlafen. Whatever, laßt uns den Zauber halten, kein Disput, Wiedersehen morgen, Verlangen bis morgen, wenn das denn so sein muß!

Und überhaupt: Ostern auf Formentera ist schon mal grundsätzlich das Beste. Zweieinhalb Stunden Flug, und man kann den dicken Pullover gegen ein T-Shirt tauschen. Gut, bisweilen weht noch ein frischer Wind über Balearien, aber ansonsten ist es schon mild und warm, eben balear. Und dann diese spezielle Mischung von Leuten, die hier eintrudelt. Man ist doch nicht ganz in der Fremde, sondern sieht vom ersten Moment an bekannte Gesichter.

So waren mir denn morgens, als ich halb närrisch nach Gisa Ausschau hielt, gleich Benno und seine Freundin Linda über den Weg gelaufen, Gitarrentaschen auf den Rücken. Benno ist ein alter Bekannter, mit dem ich mal zusammen Jura studiert und Musik gemacht hatte, immer noch weltbester Gitarrero und nunmehr Anwalt in Düsseldorf. Linda - ebenfalls Anwältin - huldigte seinem Rock’n Roll, ihre einzige Form von Hingabe im öffentlichen Leben.

„Ja, aber nein, wie ist es denn möglich! Ihr beiden wieder hier!“  staunte ich. „Ist doch klar!“ lachte Benno. „Wir haben schon vernommen, daß du auch präsent bist.“ „Gitarre da drin?“ fragte ich auf die Gitarrentasche deutend. „Zwei Stück!“ Ab  auf die Mofas! Wohin sollte es gehen? 

Der Migjornstrand liegt San Fernando am nächsten. What about the BLUE BAR? Ostern haben nur wenige Strandbars geöffnet, dieses kleine, himmelblau gestrichene Haus über dem Strand war leider noch verschlossen. Kein riesiges weißes Leinenzelt über der draußen rund gemauerten Liegebank, keine Polster, keine glitzernden Kissen und keine total relaxten französischen Freaks, die einen absolut unaufdringlich mit allerlei Drinks versorgen, ohne dabei gleich Ibiza-Altstadtpreise aufzurufen. Durch ein von der salzigen Meerluft trübes Fenster konnte man hineinschauen auf die Theke, die weißen Korbmöbel und den weißen Flügel! Eine echte Inszenierung.

Zu ist zu. Wir fanden aber eine andere, ganz nette, eher rustikal-solide  Strandgaststätte, wo der Magno auf Wunsch im heißgemachten, großen Cognacschwenker serviert wurde. Und Muscheln standen auf der Speisekarte. Geil, so in den nahen Dünen zu liegen, pralle Sonne, frischer Osterwind und spanischen Brandy im heißen Glase, wie Gott in Frankreich!

Her mit den zwei Gitarren! Eine akustische und eine Telecaster samt zigarettenschachtelgroßem Mini-Verstärker, Rock on the Beach! Benno spielte wieder göttlich, internationale Klasse! Ach Gott, wann würde ich mein Braunauge wiedersehen? Würde sie doch jetzt auch hier sein und unserer Darbietung lauschen! Um so mehr könnte ich in ihr Herz mich schleichen fein... Außerdem war das mein letzter Tag!

Und siehe, abends saß sie mit zehn, zwölf Leuten an einem großen Tisch im Fondarestaurant und winkte mir freudig zu. Ihre zierliche Tochter - logisch war sie das! - schaute verbissen in sich hinein. Kinder mögen das nicht, wenn Mama mit fremden Männern anbändelt. Ich kann eh nicht so gut mit Kindern. Wir verabredeten uns für nach dem Essen. Erleichterung! Würde sich das Leben nun grundlegend ändern?

Endlich, nach all den obligatorischen Weinbränden und Carajillos verpisste sich diese Tafel, Gisa kam. „Na, Herr Präsident!“ begrüßte sie mich. „Zeit für ein Gipfeltreffen!“ gab ich zurück. Die abendliche Witterung lud immer noch nicht recht zum Draußensitzen. Gerade um die Fonda weht in dieser Jahreszeit stets ein frischer Wind über den Hügel. Wir suchten Zuflucht in Thekennähe.